Christof Danz
Corporate Spokesman
Die Erweiterung der Europäischen Union (EU) nach Zentral- und Osteuropa (CEE) stellt in Summe eine Erfolgsgeschichte für die Region, die EU und auch die österreichischen Großbanken dar, so eine aktuelle Studie von Raiffeisen Research, die Gunter Deuber, Chefökonom der Raiffeisen Bank International AG (RBI) bei einer Pressekonferenz vorgestellt hat.
In ihrer Eingangsrede unterstreicht Valerie Brunner, RBI-Vorstandsmitglied für Corporate & Investment Banking – Customer Coverage, die Bedeutung der EU-Osterweiterung für die RBI: „Ohne die politischen Veränderungen sowie den Expansionsgeist österreichischer Unternehmen wäre das Wachstum der RBI nicht möglich gewesen.“
Kontinuierlicher Aufholprozess in Zentraleuropa aufgrund umfassender Integration in den EU-Binnenmarkt
„Heute beträgt die aggregierte Wirtschaftskraft der fünf zentraleuropäischen Länder Tschechien, Slowakei, Polen, Ungarn und Slowenien circa 150 % der Wirtschaftsleistung der Niederlande. Vor 20 Jahren hingegen lag diese Relation nur bei 80 %“, betont Gunter Deuber, der erklärt, dass der kontinuierliche Aufholprozess in Zentraleuropa auf einer umfassenden Integration in den EU-Binnenmarkt basiert. Die Raiffeisen-Research-Analysten machen dies an der hohen Handelsoffenheit der Region sowie der hohen Durchdringung mit ausländischen Direktinvestitionen fest. „Der Außenhandel liegt in Zentraleuropa bei etwa 170 Prozent der Wirtschaftsleistung. Dies ist ähnlich hoch wie in einer traditionellen Handelsnation, etwa den Niederlanden, und deutlich über dem Österreichwert von etwa 125 %. Das zeigt den hohen Grad der Wirtschaftsintegration sowie die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Region“, so Gunter Deuber. Auf Basis dieser Ausgangsposition sieht der Raiffeisen-Chefökonom nun gute Chancen für die Region, neue Investitionen anzuziehen.
„Im Vergleich zu einigen südeuropäischen Ländern wie Griechenland oder Italien ist der Wohlstand in Zentraleuropa nie nachhaltig gegenüber dem EU-Durchschnitt zurückgegangen. Es gab lediglich Phasen des Nichtaufholens wie etwa in Ungarn, Slowenien oder zuletzt in Tschechien“, erklärt Dorota Strauch, Koordinatorin der Zentral- und Osteuropaanalyse bei Raiffeisen Research. Die in Warschau ansässige Ökonomin sieht darin einen klaren Indikator für die Nachhaltigkeit der ökonomischen Konvergenz in der Region. Sie verweist auch auf den zunehmenden Grad der Verflechtung der Länder untereinander, eine Entwicklung, die lokal verwurzelten Bankengruppen wie der RBI ein attraktives Geschäftsfeld bereitet. „Der Handel unter den EU-Mitgliedern in Zentral- und Südosteuropa hat heute das gleiche Gewicht wie der Deutschlandhandel“, so Dorota Strauch.
Entwicklung der Bankensektoren in Zentraleuropa: Unterschiede und Potenziale
Teils etwas weniger geradlinig und regional weniger eindeutig nach oben zeigend als bei der makroökonomischen Konvergenz vollzog sich die Annäherung der zentraleuropäischen Länder an den Reifegrad der Bankensektoren in Westeuropa. „Tschechien und die Slowakei haben eine nachhaltige Entwicklung ihrer Bankensektoren im Sinne eines steigenden Reifegrades der lokalen Bankensektoren erlebt. Bankaktiva und vor allem auch gesellschaftlich relevante Wohnbaukredite haben hier seit 2004 dauerhaft zugelegt“, berichtet Ruslan Gadeev, Senior-Bankanalyst bei Raiffeisen Research. In Bankenmärkten wie Ungarn oder Slowenien ist der Bankensektor in Relation zur Wirtschaftskraft in der letzten Dekade hingegen teilweise geschrumpft, in Polen ist eine lange Stagnation erkennbar. Die Hypothekarkreditmärkte sind in diesen Ländern noch nicht in der Breite entwickelt, hier besteht gemäß den Raiffeisen-Research-Analysten noch viel Aufholbedarf.
Tschechien und Slowakei erfolgreichste zentraleuropäische Länder der Osterweiterungsrunde
Unter Berücksichtigung von Indikatoren des makroökonomischen Aufschließens sowie der Konvergenz im Bankensektor sehen die Raiffeisen-Research-Analysten Tschechien und die Slowakei aktuell als die erfolgreichsten zentraleuropäischen Länder der EU-Osterweiterungsrunde von 2004 an. Ableiten lässt sich dies aus stetigen Einkommenssteigerungen sowie der nachhaltigen Expansion der jeweiligen Bankenmärkte. Interessanterweise verfolgten beide Länder sehr unterschiedliche wirtschafts- bzw. auch geld- und währungspolitische Strategien zur Integration in den EU-Binnenmarkt. Dennoch gibt es in beiden Ländern einige Gemeinsamkeiten, wie etwa den bisherigen Fokus auf eine stabilitätsorientierte wirtschaftspolitische Ausrichtung sowie die Offenheit für einen hohen Grad der Ausländerbeteiligung am heimischen Bankenmarkt. „In Tschechien und der Slowakei haben Auslandsbanken einen aggregierten Marktanteil von 85 bis 90 %. Dies hat offensichtlich der erfolgreichen Konvergenz dieser Länder in den Bereichen Wirtschaft und Banken nicht im Wege gestanden“, so Gunter Deuber. In der Slowakei verortet er auch einen hohen Beitrag des Euros an der nachhaltigen Entwicklung des Wohnimmobilienmarkts. „Österreichs Banken sind in der Region als Marktführer sehr gut positioniert“, ergänzt Gunter Deuber. Die auf die Region fokussierten österreichischen Großbanken haben gemäß dem Raiffeisen-Chefökonom in der Region Zentraleuropa allgemein und in Tschechien konkret einen Marktanteil von fast 25 %. In der Slowakei liegt der Marktanteil heimischer Banken bei fast 40 %.
Die positive wirtschaftliche Entwicklung in Tschechien und der Slowakei bewahrte diese Länder nicht gänzlich von teils populistisch motivierten Politikakteuren. Allerdings war in beiden Ländern, gerade auch im Bankensektor, nie eine Skepsis gegenüber ausländischen Unternehmen erkennbar. Besondere lokale Geschäftschancen sieht die RBI in der Verknüpfung der wettbewerbsfähigen und industriestarken Region Zentraleuropa mit den westlichen EU-Märkten sowie mit wichtigen Wirtschaftspartnern global. Auch in der Begleitung von international orientierten lokalen Vorzeigeunternehmen, in den bereits existierenden tiefen Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen, im weiter stark wachsenden regional orientierten Außenhandel sowie im Immobilienkreditbereich erkennt sie Potenzial.
EU-Osterweiterungsrunde von 2004: in Summe eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte
Abschließend gibt Gunter Deuber zu bedenken: „Die EU-Osterweiterungsrunde von 2004 war in Summe eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Dieses Momentum gilt es in nun anstehende Erweiterungsprozesse und den EU-Politikbetrieb hineinzutragen.“ Er stellt aber auch klar, dass teils geopolitische Implikationen der EU-Osterweiterung sowie deren Wirkung auf EU-Entscheidungsprozesse 2004 offenbar unterschätzt wurden. Insofern stehen gemäß Gunter Deuber in diesen Themenkreisen Schärfungen auf EU-Ebene an, bevor die EU wieder erweiterungsfähig wird.
Die Studie „Perspektiven: 20 Jahre EU & Zentraleuropa, Fort- & Rückschritte plus Wendungen“ können Sie hier herunterladen.
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