Ingrid Ditz
Group Communications, Corporate Spokeswoman
Es geht hin und her ... und um Geopolitik
Das aktuelle Umfeld der vielschichtigen multiplen ökonomischen und geopolitischen Krisen betrifft auch den CEE Bankensektor. Wie jedes Jahr haben sich die Raiffeisen Research Analysten in Wien und der CEE-Region dezidiert mit den regionalen Trends und Veränderungen auf den CEE-Bankenmärkten auseinandergesetzt.
Der jüngste Raiffeisen Research CEE Bankenreport bestätigt einige eher erwartbare Trends, die genaue Analyse der regionalen Bankenmärkte zeigt aber auch einige wenig beachtete Entwicklungen. „Prinzipiell sind die Entwicklungen in der Region CEE sehr zwiegespalten“, so Gunter Deuber, Chefvolkswirt von Raiffeisen Research. „Der russische Bankenmarkt im Aggregat könnte 2022 einen erzwungenen Rekordverlust erleiden, während in den Bankenmärkten in Zentral- und Südosteuropa im Jahr 2022 die solide Profitabilität der Zeit vor COVID und dem Kriegsausbruch mit einer Eigenkapitalrendite von 12-14% erreicht werden sollte“. Zu der positiven regionalen Gewinnentwicklung in den lokalen Bankensektoren hat die unvermeidliche und zwingend notwendige drastische geldpolitische Normalisierung in Zentral- und Südosteuropa beigetragen. „Der durchschnittliche Leitzins in Ländern mit einer aktiven Geldpolitik liegt derzeit über 9 %. Das sind Niveaus wie in der ‚Osteuropa-Boomzeit‘ vor der globalen Finanzkrise“, erklärt Gunter Deuber.
Positiv in Bezug auf die regionale Bankenmarktentwicklung sehen die Raiffeisen Research Analysten auch den, in den letzten Jahren sowie im Kontext der COVID-19 Krise, erreichten Reife-Grad sowie die finanzielle Inklusion auf und in den regionalen CEE-Bankenmärkte. „Bei relevanten Indikatoren, wie der Kontodurchdringung oder der Nutzung digitaler Zahlungen, spielt die Region Zentraleuropa nun eindeutig in einer Liga mit Hocheinkommensländern“, erklärt der Senior-Bankenanalyst und Studienautor Ruslan Gadeev. „Hier zeigen sich im Aggregat die Früchte der Investitionen einzelner Akteure in Innovationen und die Banken-Infrastruktur“, so Gadeev weiter.
Neben den zuvor skizzierten und teils eher erwartbaren Trends verweist der neue Raiffeisen Research Bankenbericht auch auf vordergründig etwas überraschende Trends. Einerseits steigt die Profitabilität derzeit, allerdings weniger stark als es die historischen Erfahrungen mit geldpolitischen Normalisierungen bzw. Straffungen anzeigen würde. Dies führen die Raiffeisen Research Analysten auf eine intensivierte Wettbewerbssituation zurück. Andererseits gibt es interessante Marktanteilsverschiebungen in der Region. Auch lasten derzeit vielerlei andere Zusatzfaktoren auf der Profitabilität: höhere Refinanzierungskosten bei Einlagen und am Kapitalmarkt. „Die großen österreichischen CEE-Banken Erste Bank und Raiffeisen Bank International führen weiter das regionale Ranking der größten Kreditinstitute an. Die belgische KBC-Gruppe als Nummer drei holt stark auf und ist mittlerweile der größte Spieler in Zentraleuropa, während die ungarische OTP nun die fünftgrößte regionale Bank ist.“ Die skizzierten Expansionsstrategien werten die Raiffeisen Research Analysten als Bestätigung der generellen Attraktivität der regionalen Bankenmärkte. Der Aufstieg des „Regionalspielers“ OTP in die Top-Liga der größten CEE-Banken zeigt sich in ähnlichem Ausmaß auch auf dem Westbalkan. Auch hier partizipieren aktuell mit der Ausnahme von Serbien eher lokalen Akteure an der Marktkonsolidierung.
Ein Teil der regionalen Konsolidierung in den CEE-Bankenmärkten ist auch der Geopolitik geschuldet. Die regulatorisch getriebene Abwicklung der Sberbank Europe hat gemäß den Raiffeisen Research Analysten zu einigen, so nicht erwarteten, M&A Aktivitäten geführt. „Es ist aber auch eine breitere Re-Fokussierung auf M&A Aktivitäten in der Region erkennbar“, so Senior CEE-Bankenanalyst Jovan Sikimic. „Allerdings ist die Marktkonzentration in vielen CEE-Bankenmärkten derweil schon so weit fortgeschritten, dass es keine einfachen Optionen mehr gibt, um Skalenerträge zu erzielen. Daher erwarten wir eher fokussierte M&A Aktivitäten“, so Jovan Sikimic.
Die geopolitischen Verwerfungen im Kontext des Ukrainekrieges zeigen sich auch an einschneidenden Veränderungen in den osteuropäischen Bankenmärkten. „In Russland befinden sich 80 % des Bankenmarktes unter härtesten westlichen Sanktionen“, erläutert Ruslan Gadeev. In der Ukraine gehen die notleidenden Kredite zwar nach oben, aber auch hier zahlen sich die Reformen der letzten Jahre aus. „Es ist keine Überraschung, dass sich die Kreditqualität durch den Krieg verschlechtert. Der Anteil der notleidenden Kredite im Bankensektor stieg in den ersten sieben Monaten des Krieges im Unternehmenssektor von 31,5 % auf 37,5 % und im Haushaltssektor von 15,9 % auf 27,6 % an. Wir gehen davon aus, dass die notleidenden Kredite kriegsbedingt weiter ansteigen. Aber es ist unwahrscheinlich, dass sie den Höchstwert von 55 % überschreiten, der nach der letzten Krise in den Jahren 2014-15 verzeichnet wurde, da die Notenbank seither entschlossen und erfolgreich umfassende Reformen im Bankensektor durchgeführt hat“, so Oleksandr Pecherytsyn, Leiter von Research in der Raiffeisen Bank in Kiew, Ukraine.
Dass die geopolitischen Verwerfungen des Ukrainekrieges die großen, und teils auch in Russland tätigen, westlichen CEE-Banken nicht existenziell bedroht führen die Raiffeisen Research Analysten darauf zurück, dass schon seit 2014/2015 vorsichtige regionale Marktstrategien ergriffen wurden. „Seit 2014/2015 ist der Russland- und Osteuropaanteil in den Portfolien westlicher CEE Banken von knapp über 20 % auf unter 10 % gefallen. Eine geopolitische Naivität ist hier nicht erkennbar. Seit 2013/2014 haben westliche Großbanken ihre regionale Portfolioallokation so justiert, dass eine signifikante geopolitische Eskalation im osteuropäischen Raum die Existenz der regionalen CEE-Geschäftsstrategien nicht gefährdet“, so Gunter Deuber.
Konstruktiv optimistisch zeigen sich die Raiffeisen Research Analysten in Bezug auf den CEE-Bankenmarktausblick. Die Kreditexpansion im Privatkundengeschäft könnte gedämpft bleiben und das Firmenkundengeschäft von EU-kofinanzierten Investitionen profitieren, so die Studienautoren. Mehr Gegenwind erwarten sie auf der Profitabilitätsseite. Dieser ist getrieben von steigenden Refinanzierungskosten, sinkenden Ausleihungsmargen sowie dem Politik-Trend (fiskalische) Kosten der aktuellen Lebenshaltungskostenkrise, mit derzeit im EU-Vergleich besonders hohen Inflationsraten in Zentral- und Südosteuropa, dem Bankensektor aufzubürden. „So wie der Ukrainekrieg im Jahr 2022 den regionalen und breit angelegten Wirtschaftsaufschwung in der Region im Nachgang der COVID-19-Krise erstmal zum Erliegen gebracht hat, so könnte es im Lichte aktueller Politikmaßnahmen 2023 dem regionalen Bankenmarktaufschwung ergehen“, erklärt Gunter Deuber. Allerdings sollte das Zinsumfeld die regionale Bankensektor-Profitabilität in CE/SEE noch bis weit ins Jahr 2023 unterstützen.
Den gesamten CEE Banking Report (Englisch) können Sie als registrierter Raiffeisen Research User hier abrufen.
Die deutsche Kurzversion ist ohne Registrierung hier abrufbar, die englische hier.
Der CEE Banking Sector Report ist die jährliche Flaggschiff-Studie von Raiffeisen Research. Einmal im Jahr analysieren alle Raiffeisen Research Teams in CEE und Wien die Dynamik des Bankensektors in der CEE-Region im Detail. Neben einer Länderberichterstattung dokumentieren die Spezialist:innen auch heuer wieder Marktanteile, Bilanzsummen und Finanzkennzahlen der führenden (westlichen) internationalen CEE-Banken. Das Gleiche gilt für die länderübergreifenden Trends bei Marktanteilen, Geschäftsdynamik, Qualität der Aktiva und Rentabilität.
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